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Kolumne des Monats
15.06.2017, 19:05 Uhr
 
"Gedanken über das Gedenken an Flucht und Vertreibung Millionen Deutscher..." von Heiko Hendriks, Vorsitzender der OMV NRW, ehem. MdL

Anlässlich des Gedenktages für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 20. Juni veröffentlichen wir heute einen Beitrag zum Thema "Wie wichtig ist das Gedenken an Flucht und Vertreibung?"


Im Rechtswesen des antiken Roms gab es einen Leitsatz. Dieser Leitsatz lautet „Iustitia tempus ignorat“. Dies bedeutet übersetzt so viel wie: Das Unrecht kennt keine Zeit. Der Bund der Vertriebenen (BdV) hatte einmal ein Jahresmotto, das Ähnliches ausgesagt hat: Vertreibungen sind Unrecht – gestern wie heute. Ich füge gerne hinzu, nur wer Geschichte, somit auch die Geschichtsfakten über die deutsche Vertreibung aus dem deutschen historischen Osten, kennt, kann aus ihr lernen.

Heute müssen wir leider feststellen, dass das historische Wissen im Allgemeinen, aber insbesondere auch das Wissen über diesen Teil der deutschen bzw. europäischen Geschichte - vorsichtig formuliert - unterentwickelt ist. Ergänzt wird dies oftmals noch, durch bewusst platzierte, scheinbare historische Fakten, die in Gesamtzusammenhänge eingeflochten werden, die einer näheren Überprüfung – wenn diese überhaupt stattfindet – nicht nur nicht standhalten, sondern dazu dienen, Geschichte Stück für Stück umzuschreiben.

Allein dies macht deutlich, dass ein Gedenken an Flucht und Vertreibung Millionen Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch wichtig ist, beziehungsweise sogar immer wichtiger wird! Vergessen, verdrängen oder ignorieren waren und sind noch nie ein guter Ratgeber gewesen.

Lassen sie mich deshalb noch einmal einen kurzen Blick in die Geschichte werfen und vor allem auch noch einmal die Bedeutung von Flucht und Vertreibung für unser Bundesland Nordrhein-Westfalen hervorheben.

Unser 1946 gegründetes Bundesland wurde in 1950er Jahren – mit Recht - auch „Flüchtlingsland der Bundesrepublik“ genannt. Hier lebten die meisten Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten (etwa 2,4 Mio.) sowie Flüchtlinge aus der sogenannten DDR. Dazu einige wenige Fakten:

·        - 1949 war jeder neunte Bergmann ein Vertriebener.

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1953 waren 12,1% der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens Flüchtlinge und Vertriebene. Über ein Fünftel der heutigen Bevölkerung Nordrhein-Westfalens hat seine Wurzeln in den ost-, südost- und mitteleuropäischen Ländern.

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Nordrhein-Westfalen hat nach 1989 allein in den folgenden 20 Jahren 650.000 Spätaussiedler aufgenommen.

Das Bundesvertriebenengesetz hat nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges mit Eingliederungshilfen für 12 Mio. Vertriebene und 4,5 Mio. Aussiedler einen wichtigen Beitrag zur Integration, aber auch zur Versöhnungsarbeit geleistet. Es hat wichtige Voraussetzungen dafür geliefert, dass die deutschen Vertriebenen und ihre Verbände aktiv am Wiederaufbau des Landes, an der Pflege der eigenen Kultur und Traditionen und an der Verständigung mit den Nachbarn im Osten mitwirken konnten.

Und auch und gerade für Nordrhein-Westfalen kann man feststellen: Die Integration von Millionen von Heimatvertriebenen und Aussiedlern war und ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte.

Es gibt viele Möglichkeiten, einerseits die Leistungen der Vertriebenen und Aussiedler zu würdigen, anderseits – u.a. in diesem Zusammenhang – historische Fakten, insbesondere auch für die nachfolgenden Generationen, zu vermitteln.

Leider hat die rot-grüne Landesregierung dies in ihrer Regierungszeit von 2010 -2017 nur unzureichend genutzt. Dass Begriffe wie „Vertriebene“ und „Aussiedler“ weder im Koalitionsvertrag noch in der Regierungserklärung von 2012 vorkamen, war nur die Spitze eines Eisberges. Denn leider wurde auch z.B. die Patenschaft mit den Siebenbürger Sachsen nicht wirklich gelebt und die bewährte Praxis vieler Landesregierungen, bei Delegationsreisen in die Herkunftsländer ausgewählte Vertriebenen-Vertreter mitzunehmen, wurde nicht praktiziert.

Eine NRW- Landesregierung muss sich meines Erachtens an folgenden drei grundsätzlichen Punkten orientieren.

1. Fü
r die Volksgruppe der Siebenbürger Sachsen war das wichtigste Ereignis nach der Flucht und den Entlassungen aus der Kriegsgefangenschaft die Übernahme der Patenschaft durch das Land NRW am 26. Mai 1957 im Düsseldorfer Landtag. 1966 wurde die heute weltweit größte geschlossene Siebenbürger-Sachsen-Siedlung in Wiehl eingeweiht. Heute leben hier knapp 3.000 Siebenbürger Sachsen aus ca. 200 Ortschaften Siebenbürgens. Die Landesregierung muss, gemeinsam mit dem Landtag, die seit 1957 bestehende Patenschaft des Landes NRW mit dem Verband der Siebenbürger Sachsen mit frischen, zukunftsgerichteten Inhalten füllen.

2. Weiterhin hat das Land Nordrhein-Westfalen 1964 die Patenschaft über die Landsmannschaft der Oberschlesier übernommen. Sie wurde im Jahr 2000 ergänzt um eine Partnerschaft mit der heutigen oberschlesischen Woiwodschaft Schlesien. Das Land NRW muss prüfen, wie die deutschen Minderheiten in den Partnerregionen Schlesien in Polen und Siebenbürgen in Rumänien, insbesondere bei ihrem Recht und ihrem Bestreben auf Förderung und Pflege der deutschen Sprache, vor allem in Kindergärten und Schulen unterstützt und gefördert werden können.


3. Seit 1951 haben insgesamt haben mehr als 2,5 Millionen Menschen aus mehr als 100 Ländern in der Landesstelle Unna-Massen eine erste Zuflucht gefunden. Ein Antrag der CDU-FDP-Fraktion zur Errichtung einer Gedenkstätte wurde am 27. Januar 2010 im Kulturausschuss mit Mehrheit angenommen. Nach dem Regierungswechsel wurden die Beschlüsse ignoriert und nicht weiterverfolgt. Die Errichtung einer solchen Gedenkstätte darf nicht aus den Augen verloren werden, denn sie kann Geschichte lebendig machen. Sie kann dazu dienen, eine Anlaufstelle in Nordrhein-Westfalen zu sein, an der, auch oder gerade für Schulklassen, politische und historische Bildung im besten Sinne erlebbar gemacht wird und somit Wissen transportiert werden kann.

Denn, ich bleibe dabei: Nur wer Geschichte kennt, kann auch aus ihr lernen! Folgerichtig wäre somit auch, im Schulunterricht viel stärker dieses Thema zu behandeln. Selbstverständlich eingebettet in die Geschichte Europas des 20. Jahrhunderts. Wenn laut repräsentativer wissenschaftlicher Erhebungen 2016 nur jeder fünfte Abiturient das Unrecht der deutschen Vertreibung aus dem heutigen historischen Osten kennt, sollte dies uns allen zu denken geben.

Denn schon der römische Politiker, Schriftsteller und Philosoph Cicero merkte vor Christi Geburt an – „ Historia magistra vitae“ – „Geschichte (ist) die Lehrmeisterin des Lebens“! Aber aus der Geschichte Lehren zu ziehen, bedingt – und ich wiederhole mich gerne  – sie zu kennen.

Heiko Hendriks ist Landesvorsitzender der OMV NRW und ehemaliger Landtagsabgeordneter aus NRW.

 

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